Eingangs stellte OBM Jung sein prinzipielles Verständnis kommunalen
Handelns vor, das wesentlich auf drei Säulen ruht: (1) dem kompetenten
Agieren einer leistungsfähigen Verwaltung, (2) dem im Stadtrat zum
Ausdruck kommenden Bürgerwillen und (3) einer tragfähigen kommunalen
Wirtschaft. Etwa 70 kommunale Unternehmen sind dem Kernbestand dieses
"Stadtkonzerns" zuzurechnen, die in den letzten Jahren auch durch
Engagement über Leipzig hinaus zu wirtschaftlich sinnvoller Größe geführt
wurden. Diese Zahl kommunaler Unternehmen entspricht bundesdeutschem
Durchschnitt. Leipzig nimmt mit der praktischen Umsetzung dieser
strategischen Orientierung einen Spitzenplatz unter den ostdeutschen
Kommunen ein.
Da die
Weiterentwicklung bundes- und landespolitischer Rahmenbedingungen ein
solches kommunales Engagement zunehmend beschneidet zugunsten exzessiver
Privatisierungsforderungen, befindet sich Leipzig hier in einem Feld
harter politischer Auseiandersetzungen. Insbesondere die Änderung der
Sächsischen Gemeindeordnung durch die sächsische CDU-Alleinregierung im
Jahre 2002 kann nur als "Lex Leipzig" verstanden werden.
Im
Spagat zwischen der Forderung nach Abbau der Verschuldung - mit deutlich
schlechteren Einnahmeprognosen noch vor zwei Jahren - und diesen Prämissen
kommunalpolitischen Handelns standen alle großen Stadtfirmen auf dem
Prüfstand. Allein bei den Stadtwerken (SWL),
so OBM Jung, ergab sich dabei überhaupt ein möglicher Handlungsspielraum
in einem der Problemlage angemessenen finanziellen Umfang.
Im
bundesdeutschen Vergleich bewegten sich die Szenarien möglicher kommunaler
Entscheidungen zwischen den Polen Duisburg - hohe Verschuldung und
Zwangsverwaltung seit vielen Jahren - und Düsseldorf - Schuldenfreiheit
nach Verkauf zentraler kommunaler Unternehmen, aber nun ohne kommunale
Gestaltungsspielräume - als Beispielen. Beides sind keine erstrebenswerten
Perspektiven für Leipzig.
OBM
Jung würdigte explizit die kluge Unternehmenspolitik von Wolfgang Wille,
des im Sommer 2007 in den Ruhestand verabschiedeten Geschäftsführers der
SWL, der frühzeitig erkannt habe, dass die Stadtwerke im sich stark
verändernden Energiesektor nur durch Engagement über Leipzig hinaus
bestehen können, und dies unternehmerisch erfolgreich umgesetzt habe.
Rückschläge wie beim Wabio-Projekt sind dabei nicht zu vermeiden, die mit
einem zu erwartenden Verlust zwischen 10 und 25 Mill. Euro auf das
aktuelle Ergebnis der Stadtwerke durchschlagen. Auch deshalb gab es
aktuell eine Warnung, dass der diesjährige SWL-Gewinn - nach 54 Mill. Euro
noch in 2006 - unter 48 Mill. Euro liegen wird.
Dieser
Erfolgskurs bewegt sich am Rande der rechtlichen Spielräume für ein
kommunales Unternehmen, die mit der Reform der Sächsischen Gemeindeordnung
und zu erwartenden bundesdeutschen Gesetzen weiter drastisch eingeengt
wurden bzw. werden sollen. Ein gemischtes Unternehmen mit wenigstens 25%
Anteil eines privaten Partners ist diesen Restriktionen nicht mehr
unterworfen. OBM Jung betonte, dass am Anfang des Diskussionsprozesses die
Haushaltskonsolidierung im Mittelpunkt stand, heute aber der strategische
Partner, durch dessen Einstieg die festgeschriebenen strategischen
Entwicklunglinien der Stadtwerke vor allem gegen politische Zumutungen
abgesichert werden sollen, im Vordergrund steht.
Auf
die Frage nach den Erfahrungen mit bereits zwei Privatisierungen der
Stadtwerke angesprochen, gab OBM Jung seiner Überzeugung Ausdruck, (1)
dass die Zusammenarbeit nur funktionieren wird, wenn sich der Private auf
eine "Partnerschaft auf Augenhöhe" einlässt, (2) dass die Stadt mit 50.1%
den Geschäftsführer einsetzt und in allen strittigen Fragen die eine
Stimme Mehrheit haben wird, um Entscheidungen zu ihren Gunsten
durchzusetzen, (3) dass durch die Verhältnisse im Aufsichtsrat, wo neben
5+5 Mitgliedern der Gesellschafter auch 10 Arbeitnehmervertreter sitzen
werden, das Gewicht der kommunalen Anliegen angemessen berücksichtigt ist
und (4) dass die im Konsortialvertrag festgelegten klaren
Ausstiegsszenarien und Vertragsstrafen im Ernstfall auch greifen werden.
Damit soll der Private auf die bisherige strategische Linie der SWL
festgelegt werden und diese sinnvoll ergänzen, insbesondere durch
Bereitstellung von Kraftwerksscheiben, um die Energiesicherheit in einem
zunehmend unübersichtlichen und von vier großen Erzeugern beherrschten
Markt sicherzustellen.
Auf
das Bürgerbegehren angesprochen betonte OBM Jung, dass er den Dialog
suchen werde, wenn in einigen Wochen die Ergebnisse des Verfahrens auf dem
Tisch liegen. Insbesondere denke er an ein Fachpodium mit dessen
Initiatoren. Die Fragestellung des Bürgerbegehrens - gegen die
Privatisierung jeglicher kommunaler Firmen (hier wiederholte Jung eine in
der Presse verbreitete Position, die nicht die des Bürgerbegehrens ist) -
sei kontraproduktiv und komme überdies für den aktuellen Prozess zu spät.
Ob sie in der vorliegenden Form für einen Bürgerentscheid überhaupt
zulässig ist und wie mit der Problematik ggf. umzugehen sei, darüber sind
die Meinungsbildungsprozesse noch nicht abgeschlossen. Allerdings ist OBM
Jung mit Blick auf den allgemeinen Frust insbesondere über die Preise der
Stadtwerke optimistisch, bei einem Bürgerentscheid eine Mehrheit der
Leipziger hinter seinem Verkaufskonzept zu versammeln. Vor einigen Jahren
noch hätte eine große Mehrheit der Leipziger die SWL lieber heute als
morgen verkauft. Krude Sinneswandel der öffentlichen Stimmung in der Stadt
sind über die Jahre zu vielen Fragen zu beobachten gewesen. Als OBM stehe
er in der Pflicht, den begonnenen Privatisierungsprozess sauber zu Ende zu
führen. Anderes könne und wolle er den Bietern nach fast einjähriger
intensiver und kostenträchtiger Verhandlungen nicht vermitteln. Deshalb
wird die Abstimmung über das Ergebnis des Bieterverfahrens definitiv im
Dezember auf der Tagesordnung des Stadtrats stehen.
Auf
die Frage, was denn eintrete, wenn die Front der Befürworter im Stadtrat
bröckele, antwortete OBM Jung, dass es Sache des Stadtrats sei, die
vorbereitete Entscheidung so oder so zu treffen. Ich konnte mich des
Eindrucks nicht erwehren, dass Jung mit einer solchen Lösung durchaus
leben könne, ja eine solche Perspektive für ihn nicht einmal die
schlechteste aller möglichen wäre.
Eine
Sollbruchstelle der derzeitigen Koalition der Privatisierungsbefürworter
liegt im Umgang mit den weitergehenden Forderungen von CDU und FDP nach
Anteilsprivatisierungen der LVV. Um dieses Thema ist es, nach vollmundigen
Aussagen noch vor der Sommerpause, inzwischen relativ ruhig geworden. Zur
Frage der Folgen der LVV-Privatisierung sei ein Gutachten bei einer
"renommierten Beratungsfirma" in Auftrag gegeben, auf dessen Basis auch
hier im Dezember im Stadtrat die Weichen gestellt werden sollen, so OBM
Jung. Hier klare Fronten zu schaffen, das sei er der Öffentlichkeit und
dem Bieter schuldig, welcher den Zuschlag erhält. Offen blieb, ob Jung
selbst eine solche Privatisierung befürwortet; seine Gesamtdarstellung der
kommunalen Handlungsoptionen an diesem Abend spricht eher dagegen.
Bei
der Auswahl aus den verbleibenden Bietern entscheidet vorrangig der
gebotene Preis. Das sehen die EU-Richtlinien so vor. Im Vergabeverfahren
ist mit Punkten gearbeitet worden, wobei zu 60% das preisliche Angebot und
zu 40% die Erfüllung strategischer Vorgaben in die Bewertung einging.
Damit bewegt sich die Stadtverwaltung auch hier am Rand des Zulässigen.
Der endgültige Vorschlag sowie das Gutachten zur LVV kommen in der ersten
Novemberhälfte auf den Tisch der interessierten Öffentlichkeit.
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