Hermann Gerathewohl:
Wir haben in Großbritannien mit der Eisenbahnprivatisierung erlebt, wohin
das führt. Es ging am Ende nur um Gewinne, aber nicht mehr um die
Sicherheit der Schienenwege. Bestimmte Bereiche der Daseinsvorsorge
sollten in kommunaler Hand bleiben. Denn da werden doch Gewinne
erwirtschaftet, die der Stadt zugute kommen.
Burkhard Jung:
Wir sind da nicht auseinander. Es muss kommunal gesteuerte Unternehmen
geben, damit die Kommune Einfluss auf Entwicklung hat. Wir müssen mit den
Gewinnen Leistungen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger vorhalten. Das
ist bei uns vorwiegend der öffentliche Nahverkehr, den wir mit mehr als 50
Millionen Euro im Jahr gegenfinanzieren. Bei den Stadtwerken haben wir
eine besondere Situation. Der Energiemarkt wird schwieriger, weil immer
mehr Anbieter auf ihn drängen. Wenn wir nichts tun, werden die Stadtwerke
in ihren Gewinnen, aber auch in ihrem Umsatz und in ihrer Wertschöpfung
hier in der Region geschmälert. Wir können nur richtig handeln, wenn die
Stadtwerke wachsen, aus Leipzig hinaus gehen, in andere Bundesländer und
ins Ausland. Wir sind gut beraten, in diesem Wettbewerb einen
strategischen Partner zu suchen. Auf Dauer wird es in Deutschland relativ
schwierig, mit einem kleinen Stadtwerk, auch wenn wir ein gutes sind,
gegen die großen, globalen Veränderungen auf dem Energiemarkt mitzuhalten.
Das ist der eigentliche Hintergrund, warum wir teilprivatisieren wollen.
Mit den Einnahmen aus dem Anteilsverkauf werden wir zweitens aber auch den
Stadthaushalt entschulden können.
Aber was geschieht, wenn uns in 10, 15 Jahren die öffentlichen Schulden
wieder über den Kopf wachsen?
Das müssen wir verhindern. Wir haben eine Entschuldungskonzeption. Wir
wollen besser werden, in unserer Verantwortung für unsere Kinder und
Enkel, wir dürfen nicht auf deren Kosten leben. Das Ganze geht aber nur
auf, wenn es sich mittelfristig rechnet, wenn wir bei unserer
Entschuldungskonzeption bleiben und wenn wir die Stadt Leipzig wieder
finanziell in ruhiges Wasser bringen. Bedingung dabei: Wenn die
Teilprivatisierung nicht sozialverantwortlich organisiert wird, bin ich
nicht im Boot.
Herr Pfeifer:
Gehen mit der Teilprivatisierung Arbeitsplätze verloren?
Wir haben mit den Gewerkschaften einen achtjährigen Kündigungsschutz für
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtwerke Leipzig und deren
Töchter vereinbart. Sie haben Bestandsschutz und es gibt eine
Ausbildungsgarantie.
Evelin Maklowski: Welche Schutzmechanismen werden eingebaut, damit die
Energiepreise nach der Privatisierung nicht ins Uferlose steigen?
Unsere Preise sind im Moment nicht besonders gut. Und es ist in Europa mit
weiteren Preisanstiegen auf dem Energiemarkt zu rechnen. Mit einem starken
Partner haben wir die Chance und die feste Absicht, unter anderem über
günstige Einkaufspreise, diese Entwicklung zu bremsen.
Dirk Larisch: Den Stadtwerken geht es jetzt relativ gut auf Kosten vieler
Leipziger. Unter anderem sieht man das daran, dass Millionenbeträge in
irgendwelchen viertklassigen Fußball gehen. Aber ich denke, die goldenen
Zeiten sind für die Stadtwerke vorbei, weil auch andere Anbieter zu
deutlich günstigeren Konditionen auf den Markt drängen. Wie wollen Sie
verhindern, dass die Stadtwerke zu viele Kunden verlieren?
Die Preise müssen sich in eine Richtung bewegen, die uns wieder ins
Mittelfeld in Deutschland bringen. Das ist Strategie innerhalb der
Stadtwerke und gilt auch mit einem privaten Partner. Ansonsten wird die
Geschichte nicht aufgehen, weil die Leute mit den Füßen abstimmen und den
Stromanbieter wechseln. Das können wir nicht wollen, weil wir den
Nahverkehr gegenfinanzieren, für die Bürgerinnen und Bürger
Versorgungssicherheit brauchen und möglichst ordentliche Preise anbieten
wollen. Das ist Bestandteil des Pakets, das wir mit einem großen Partner
viel besser entwickeln können.
Victoria Röber:
Die Bieter, die noch zur Wahl stehen, haben bei weitem einen höheren
Atomstromanteil als die Stadtwerke. Wie kann die Stadt Leipzig das
vertreten?
Sie entscheiden persönlich, welchen Strom Sie beziehen. Sie können
auch heute schon bei den Stadtwerken Leipzig grünen Strom bestellen. Wir
müssen dafür Sorge tragen, dass der Verbraucher für sich entscheiden kann,
welche Art von Erzeugungsstrom er für sich haben möchte. Das hat nichts
mit einem möglichen Partner zu tun. Wir kaufen jetzt schon über die
Strombörse unterschiedliche Stromarten ein. Unser Ziel ist es, möglichst
den Anteil von grünem Strom in den nächsten Jahren zu steigern. Wie haben
heute einen knappen Anteil von 30 Prozent aus regenerativer Erzeugung. Ich
habe eine klare Haltung: Atomstrom ist nicht zukunftsfähig.
Friedrich Roschner:
Ich bin gegen den Verkauf und zwar aus konkreten Erfahrungen heraus. Ich
besitze eine Apotheke in einem Ärztehaus. Ich bin im 70. Lebensjahr und
möchte sie nun veräußern, eine Interessentin habe ich. Seit Anfang 2007
verhandelt sie mit dem Vermieter. Die beinahe 30 behördlichen
Genehmigungen, die für die Übernahme erforderlich sind, haben wir
zusammen, nur mit dem Mietvertrag wird das nichts. Die Firma, an die die
Stadt die Ärztehäuser verkauft hat, versucht, uns zu erpressen. Ohne
Mietvertrag kann ich aber nicht verkaufen. Solche Probleme befürchte ich
dann auch bei den Stadtwerken.
Ich verstehe Ihre Sorge, auch wenn es um zwei grundverschiedene Dinge
geht. Es geht Ihnen um die Frage: Wird man mit einem Privaten
handlungsunfähiger? Ich sehe zwei entscheidende Unterschiede. Bei den
Ärztehäusern haben wir festgelegt, dass sie als solche weiter genutzt
werden können. Aber der Vermieter ist in seiner Vertragsgestaltung frei.
Bei den Stadtwerken ist dagegen durch einen Ratsbeschluss klar: Nur wer
die strategische Ausrichtung der Stadtwerke trägt, die Unternehmensplanung
und Zukunftsorientierung unterstützt, hat eine Chance im Bieterverfahren.
Wir haben versucht, durch glasklare Anforderungen in der Ausschreibung zu
verhindern, dass es im Nachhinein Streit geben kann. Und die Stadt ist im
Unterschied zu den Ärztehäusern mit 50,1 Prozent weiter Eigentümer.
Und wie stellt die Stadt sicher, dass der Vertrag auch eingehalten wird?
Das kann man nur mit klaren vertraglichen Grundlagen, bis hin zu Pönalen,
also zu vereinbarten Vertragsstrafen. Wir haben ja in den letzten Jahren
unsere Erfahrungen gemacht. Deshalb haben wir klare Vertrags- und auch
Ausstiegsszenarien geplant.
Christa Riewe:
Warum verschludern Sie die Stadtwerke?
Erstens: Hier wird nichts verschludert. Die Stadtwerke sind zwar gut
aufgestellt. Aber der Energiemarkt ist durch die Europäische Union
geöffnet worden. Die Stadtwerke müssen anderen Anbietern ihr Netz zur
Verfügung stellen und deren Strom durchleiten. Es sind in Zukunft
Umsatzeinbußen und Gewinnnachteile zu erwarten. Nur wenn die Stadtwerke
aus Leipzig herausgehen und wachsen, können wir das auffangen, was wir
innen verlieren. Wachsen können sie besser mit einem starken Partner.
Zweitens: Die finanzielle Situation der Stadt ist schwierig. Wenn wir
jetzt verkaufen, dann können wir mit dem Erlös Schulden tilgen und neu
investieren. Wir zahlen jährlich 40 Millionen Euro Zinsen. Das ist doch
Wahnsinn. Deshalb will ich die Stadtwerke für ein starkes Wachstum nutzen,
für mehr Arbeit und für Investitionen in die Zukunft. Für Schulen,
Kindertagesstätten und Straßen müssen wir mehr tun, das können wir aber
momentan nicht, weil wir finanziell eine lahme Ente sind. Wenn wir jetzt
nicht handeln, werden wir irgendwann behandelt, dann können wir keine
Arbeitsplätze mehr sichern und keine Gewinne zur Finanzierung des
öffentlichen Nahverkehrs mehr einfahren. Mit einem Verkauf sichern wir
also städtisches Eigentum.
Wolfgang Franke:
Ich gehöre zu denen, die das Bürgerbegehren mit angestoßen haben. Ihr
Vorgänger, Herr Tiefensee, hat 2003 im Beteiligungsbericht geschrieben,
städtische Unternehmen sind dem öffentlichen Gemeinwohl verpflichtet und
ihre Hauptaufgabe besteht darin, den Bürgerinnen und Bürgern Leipzigs in
Bereichen wie Nahverkehr, Wohnungswesen, Energieversorgung,
Abfallbeseitigung oder Wasserver- und -entsorgung kostengünstige,
servicegerechte Dienstleistungen zu erbringen. Sehen Sie da nicht ein
Problem, wenn durch eine Beteiligung von Privaten diese Verpflichtung dem
öffentlichen Gemeinwohl gegenüber in den Hintergrund tritt?
Hundertprozentig stehe ich zu dem Satz von Wolfgang Tiefensee.
Kommunalwirtschaft ist über die wirtschaftliche Tätigkeit hinaus sozial
einem Gemeinwohl verpflichtet. Es geht nicht um eine Privatisierung um
jeden Preis. Es geht nicht um eine Privatisierung von vielen Unternehmen.
Es geht ganz konkret um den Energiebereich, wo wir einen freien Markt,
einen gefährdeten globalen Markt mit Wachstumsrisiken und -chancen haben.
Sehr bewusst habe ich dem Stadtrat im November 2006 vorgeschlagen, 50,1
Prozent müssen in kommunaler Hand bleiben, damit wir in Mitverantwortung
für das Gemeinwohl bleiben.
Wie soll denn die Querfinanzierung zugunsten des Nahverkehrs
weitergeführt werden, wenn die Hälfte der Stadtwerkegewinne dann an den
Privaten abgeführt werden muss?
Die Fifty-Fifty-Rechnung greift zu kurz. Wir haben einen Querverbund. Das
heißt, die Gewinne aus Energie und Wasser dienen neben denen aus anderen
Beteiligungen und einem steuerlichen Vorteil zur Querfinanzierung des
öffentlichen Nahverkehrs. Wir werden auch nach einem Anteilsverkauf weiter
den steuerlichen Vorteil haben, die Gewinne aus Wasserwerken und anderen
Beteiligungen sowie 50 Prozent der Stadtwerkegewinne. Durch die
Entschuldung, die mit dem Anteilsverkauf möglich wird, haben wir eine
Zinsersparnis. Sie werden verstehen, dass ich heute nicht über die Höhe
sprechen kann. Das hängt vom Verkaufserlös ab. Ich werde den Teilverkauf
dem Stadtrat nur dann vorschlagen, wenn weiter die Querfinanzierung
wirtschaftlich darstellbar ist. Wenn wir nicht mittelfristig nachweisen
können, dass es eine schwarze Null wird, dann sollten wir die Finger davon
lassen.
Ist der Anteilsverkauf der Stadtwerke der Einstieg in
Teilprivatisierungen weiterer Bereiche?
Mit mir gibt es keine Privatisierung der Wohnungs- und Baugesellschaft,
kein Krankenhaus wird bei mir veräußert und es wird auch Wasser nicht
verkauft. Das habe ich immer gesagt. Neu ist nur, dass wir in einem
zweiten Schritt auf der Konzernebene eine Beteiligung prüfen. Macht es
Sinn, ist es vorteilhaft, auf der oberen Ebene, der Muttergesellschaft von
Wasser, Energie und Verkehr, einen Partner zu suchen? Geht das überhaupt
steuerrechtlich, ist das finanzpolitisch möglich? Das ist gutachterlich
jetzt beauftragt. Es ist aber ein wesentlicher Unterschied, ob ich auf
Konzernebene einen Partner im Boot habe oder im operativen Geschäft etwa
bei den Wasserwerken und es dann von der Bereitschaft des Privaten
abhängt, ob eine Wasserleitung saniert wird oder nicht.
Wolfgang Burkhardt:
Unter Ihren Vorgängern hat keine Förderung des kleinen Mittelstandes
stattgefunden. Jetzt wollen Sie die Stadtwerke verkaufen, weil die Stadt
pleite ist.
Wir dürfen nicht so tun, als sei nichts passiert. In den vergangenen 16
Jahren sind Werte geschaffen worden. Wir haben doch investiert, weil es
nötig war. Wir haben eine halbe Milliarde Euro in Schulen gesteckt. Jetzt
sind 50 Prozent saniert. Es gab doch keine Alternative. Der Anteilsverkauf
soll uns wieder handlungsfähig machen. Er ist ein Mittelstandsprogramm.
Die Sanierung von Schulen, Kindergärten und Straßen bringt Aufträge für
Mittelständler wie Sie. Wenn jeder Mittelständler nur einen Arbeitsplatz
schafft, dann haben wir schlagartig 25 000 neue Arbeitsplätze. Wenn uns
nicht ein Mehr an Arbeit gelingt, wird Leipzig – lassen Sie es mich salopp
sagen – den Hintern nicht hochkriegen.
Erhard Stehlke:
Woher nehmen Sie das Recht, gegen den Willen der großen Mehrheit der
Leipziger Bürger, kommunales Eigentum dem direkten Eingriff von
Kapitalinteressen auszuliefern?
Ich bin im Einklang mit der Mehrheit des Stadtrates, der die Leipziger
Bürgerschaft repräsentiert. Es war zwar eine knappe, aber eine Mehrheit.
Wir dürfen die Sache nicht ideologisch, sondern müssen sie sachlich
betrachten. Wenn wir nicht handeln, werden wir nicht mehr gestalten
können. Ich verstehe nicht, wieso es ein Tabu für bestimmte Bürgerinnen
und Bürger ist, ein kommunales Unternehmen zum Wohle der Allgemeinheit neu
aufzustellen und für Wachstum der Stadt zu nutzen.
Der Münchner Oberbürgermeister, auch ein Sozialdemokrat, lehnt das
ab, weil er um die Gefahren weiß, eine durchökonomisierte Stadt wird kalt.
Die Situation in München ist eine radikal andere als in Leipzig. Wenn
ich in der komfortablen Situation wäre, wirtschaftlich wie München
dazustehen, hätte ich den Vorschlag zurzeit vielleicht nicht dem Stadtrat
unterbreitet.
Tilo Köhler-Kronenberg:
Nach dem Verkauf bleibt nicht mehr so viel Geld für die Stadt übrig. Wie
wird dieses Defizit ausgeglichen?
Ich werde den Vorschlag im Stadtrat nur machen, wenn es sich rechnet.
Ich kann aber jetzt nicht mit Zahlen operieren, weil das Bieterverfahren
noch läuft. Dass wir den öffentlichen Nahverkehr weiter finanzieren
können, ist eine Bedingung dieses Verkaufs. Die Stadtwerke haben in diesem
Jahr schon eine Gewinnwarnung herausgegeben. Wir werden dieses Jahr
weniger Einnahmen haben als im letzten. Die Risiken sind dadurch
beschrieben. Es ist nicht mehr einfach zu erwarten, dass sich Gewinn
steigerungen endlos fortschreiben. Wenn wir in dieser Stadt weiter etwas
bewegen wollen, dann sind wir dringend angehalten zu entschulden, Zinsen
zu sparen, um neu investieren zu können, in das, was unsere Kinder und
Jugendlichen brauchen. Und kein Gegner der Privatisierung hat mir bislang
erklärt, was er als Alternative auf dem Tisch hat.
Notiert von Klaus Staeubert
1998 verkaufte Leipzig schon einmal Anteile an den Stadtwerken. Fünf
Jahre später erwarb die Stadt den 40-Prozent-Anteil zurück. Jetzt steht
wieder eine Privatisierung des kommunalen Energieversorgers an. Warum und
welche Folgen eine Teilveräußerung hat – das konnten LVZ-Leser jetzt aus
erster Hand erfahren. Anderthalb Stunden löcherten sie Oberbürgermeister
Burkhard Jung (SPD) am Lesertelefon mit ihren Fragen.
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