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Leipziger Volkszeitung

01. Oktober 2007

Mit einem Verkauf sichern wir städtisches Eigentum

Leser der LVZ fragen – Oberbürgermeister Burkhard Jung antwortet und erklärt, warum er die Stadtwerke-Privatisierung als Mittelstandsprogramm sieht

 

Hermann Gerathewohl:
Wir haben in Großbritannien mit der Eisenbahnprivatisierung erlebt, wohin das führt. Es ging am Ende nur um Gewinne, aber nicht mehr um die Sicherheit der Schienenwege. Bestimmte Bereiche der Daseinsvorsorge sollten in kommunaler Hand bleiben. Denn da werden doch Gewinne erwirtschaftet, die der Stadt zugute kommen.

Burkhard Jung:
Wir sind da nicht auseinander. Es muss kommunal gesteuerte Unternehmen geben, damit die Kommune Einfluss auf Entwicklung hat. Wir müssen mit den Gewinnen Leistungen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger vorhalten. Das ist bei uns vorwiegend der öffentliche Nahverkehr, den wir mit mehr als 50 Millionen Euro im Jahr gegenfinanzieren. Bei den Stadtwerken haben wir eine besondere Situation. Der Energiemarkt wird schwieriger, weil immer mehr Anbieter auf ihn drängen. Wenn wir nichts tun, werden die Stadtwerke in ihren Gewinnen, aber auch in ihrem Umsatz und in ihrer Wertschöpfung hier in der Region geschmälert. Wir können nur richtig handeln, wenn die Stadtwerke wachsen, aus Leipzig hinaus gehen, in andere Bundesländer und ins Ausland. Wir sind gut beraten, in diesem Wettbewerb einen strategischen Partner zu suchen. Auf Dauer wird es in Deutschland relativ schwierig, mit einem kleinen Stadtwerk, auch wenn wir ein gutes sind, gegen die großen, globalen Veränderungen auf dem Energiemarkt mitzuhalten. Das ist der eigentliche Hintergrund, warum wir teilprivatisieren wollen. Mit den Einnahmen aus dem Anteilsverkauf werden wir zweitens aber auch den Stadthaushalt entschulden können.
Aber was geschieht, wenn uns in 10, 15 Jahren die öffentlichen Schulden wieder über den Kopf wachsen?
Das müssen wir verhindern. Wir haben eine Entschuldungskonzeption. Wir wollen besser werden, in unserer Verantwortung für unsere Kinder und Enkel, wir dürfen nicht auf deren Kosten leben. Das Ganze geht aber nur auf, wenn es sich mittelfristig rechnet, wenn wir bei unserer Entschuldungskonzeption bleiben und wenn wir die Stadt Leipzig wieder finanziell in ruhiges Wasser bringen. Bedingung dabei: Wenn die Teilprivatisierung nicht sozialverantwortlich organisiert wird, bin ich nicht im Boot.


Herr Pfeifer:
Gehen mit der Teilprivatisierung Arbeitsplätze verloren?

Wir haben mit den Gewerkschaften einen achtjährigen Kündigungsschutz für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtwerke Leipzig und deren Töchter vereinbart. Sie haben Bestandsschutz und es gibt eine Ausbildungsgarantie.
Evelin Maklowski: Welche Schutzmechanismen werden eingebaut, damit die Energiepreise nach der Privatisierung nicht ins Uferlose steigen?
Unsere Preise sind im Moment nicht besonders gut. Und es ist in Europa mit weiteren Preisanstiegen auf dem Energiemarkt zu rechnen. Mit einem starken Partner haben wir die Chance und die feste Absicht, unter anderem über günstige Einkaufspreise, diese Entwicklung zu bremsen.
Dirk Larisch: Den Stadtwerken geht es jetzt relativ gut auf Kosten vieler Leipziger. Unter anderem sieht man das daran, dass Millionenbeträge in irgendwelchen viertklassigen Fußball gehen. Aber ich denke, die goldenen Zeiten sind für die Stadtwerke vorbei, weil auch andere Anbieter zu deutlich günstigeren Konditionen auf den Markt drängen. Wie wollen Sie verhindern, dass die Stadtwerke zu viele Kunden verlieren?
Die Preise müssen sich in eine Richtung bewegen, die uns wieder ins Mittelfeld in Deutschland bringen. Das ist Strategie innerhalb der Stadtwerke und gilt auch mit einem privaten Partner. Ansonsten wird die Geschichte nicht aufgehen, weil die Leute mit den Füßen abstimmen und den Stromanbieter wechseln. Das können wir nicht wollen, weil wir den Nahverkehr gegenfinanzieren, für die Bürgerinnen und Bürger Versorgungssicherheit brauchen und möglichst ordentliche Preise anbieten wollen. Das ist Bestandteil des Pakets, das wir mit einem großen Partner viel besser entwickeln können.


Victoria Röber:
Die Bieter, die noch zur Wahl stehen, haben bei weitem einen höheren Atomstromanteil als die Stadtwerke. Wie kann die Stadt Leipzig das vertreten?


Sie entscheiden persönlich, welchen Strom Sie beziehen. Sie können auch heute schon bei den Stadtwerken Leipzig grünen Strom bestellen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass der Verbraucher für sich entscheiden kann, welche Art von Erzeugungsstrom er für sich haben möchte. Das hat nichts mit einem möglichen Partner zu tun. Wir kaufen jetzt schon über die Strombörse unterschiedliche Stromarten ein. Unser Ziel ist es, möglichst den Anteil von grünem Strom in den nächsten Jahren zu steigern. Wie haben heute einen knappen Anteil von 30 Prozent aus regenerativer Erzeugung. Ich habe eine klare Haltung: Atomstrom ist nicht zukunftsfähig.


Friedrich Roschner:
Ich bin gegen den Verkauf und zwar aus konkreten Erfahrungen heraus. Ich besitze eine Apotheke in einem Ärztehaus. Ich bin im 70. Lebensjahr und möchte sie nun veräußern, eine Interessentin habe ich. Seit Anfang 2007 verhandelt sie mit dem Vermieter. Die beinahe 30 behördlichen Genehmigungen, die für die Übernahme erforderlich sind, haben wir zusammen, nur mit dem Mietvertrag wird das nichts. Die Firma, an die die Stadt die Ärztehäuser verkauft hat, versucht, uns zu erpressen. Ohne Mietvertrag kann ich aber nicht verkaufen. Solche Probleme befürchte ich dann auch bei den Stadtwerken.


Ich verstehe Ihre Sorge, auch wenn es um zwei grundverschiedene Dinge geht. Es geht Ihnen um die Frage: Wird man mit einem Privaten handlungsunfähiger? Ich sehe zwei entscheidende Unterschiede. Bei den Ärztehäusern haben wir festgelegt, dass sie als solche weiter genutzt werden können. Aber der Vermieter ist in seiner Vertragsgestaltung frei. Bei den Stadtwerken ist dagegen durch einen Ratsbeschluss klar: Nur wer die strategische Ausrichtung der Stadtwerke trägt, die Unternehmensplanung und Zukunftsorientierung unterstützt, hat eine Chance im Bieterverfahren. Wir haben versucht, durch glasklare Anforderungen in der Ausschreibung zu verhindern, dass es im Nachhinein Streit geben kann. Und die Stadt ist im Unterschied zu den Ärztehäusern mit 50,1 Prozent weiter Eigentümer.
Und wie stellt die Stadt sicher, dass der Vertrag auch eingehalten wird?
Das kann man nur mit klaren vertraglichen Grundlagen, bis hin zu Pönalen, also zu vereinbarten Vertragsstrafen. Wir haben ja in den letzten Jahren unsere Erfahrungen gemacht. Deshalb haben wir klare Vertrags- und auch Ausstiegsszenarien geplant.


Christa Riewe:
 Warum verschludern Sie die Stadtwerke?


Erstens: Hier wird nichts verschludert. Die Stadtwerke sind zwar gut aufgestellt. Aber der Energiemarkt ist durch die Europäische Union geöffnet worden. Die Stadtwerke müssen anderen Anbietern ihr Netz zur Verfügung stellen und deren Strom durchleiten. Es sind in Zukunft Umsatzeinbußen und Gewinnnachteile zu erwarten. Nur wenn die Stadtwerke aus Leipzig herausgehen und wachsen, können wir das auffangen, was wir innen verlieren. Wachsen können sie besser mit einem starken Partner.
Zweitens: Die finanzielle Situation der Stadt ist schwierig. Wenn wir jetzt verkaufen, dann können wir mit dem Erlös Schulden tilgen und neu investieren. Wir zahlen jährlich 40 Millionen Euro Zinsen. Das ist doch Wahnsinn. Deshalb will ich die Stadtwerke für ein starkes Wachstum nutzen, für mehr Arbeit und für Investitionen in die Zukunft. Für Schulen, Kindertagesstätten und Straßen müssen wir mehr tun, das können wir aber momentan nicht, weil wir finanziell eine lahme Ente sind. Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir irgendwann behandelt, dann können wir keine Arbeitsplätze mehr sichern und keine Gewinne zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs mehr einfahren. Mit einem Verkauf sichern wir also städtisches Eigentum.


Wolfgang Franke:
Ich gehöre zu denen, die das Bürgerbegehren mit angestoßen haben. Ihr Vorgänger, Herr Tiefensee, hat 2003 im Beteiligungsbericht geschrieben, städtische Unternehmen sind dem öffentlichen Gemeinwohl verpflichtet und ihre Hauptaufgabe besteht darin, den Bürgerinnen und Bürgern Leipzigs in Bereichen wie Nahverkehr, Wohnungswesen, Energieversorgung, Abfallbeseitigung oder Wasserver- und -entsorgung kostengünstige, servicegerechte Dienstleistungen zu erbringen. Sehen Sie da nicht ein Problem, wenn durch eine Beteiligung von Privaten diese Verpflichtung dem öffentlichen Gemeinwohl gegenüber in den Hintergrund tritt?

Hundertprozentig stehe ich zu dem Satz von Wolfgang Tiefensee. Kommunalwirtschaft ist über die wirtschaftliche Tätigkeit hinaus sozial einem Gemeinwohl verpflichtet. Es geht nicht um eine Privatisierung um jeden Preis. Es geht nicht um eine Privatisierung von vielen Unternehmen. Es geht ganz konkret um den Energiebereich, wo wir einen freien Markt, einen gefährdeten globalen Markt mit Wachstumsrisiken und -chancen haben. Sehr bewusst habe ich dem Stadtrat im November 2006 vorgeschlagen, 50,1 Prozent müssen in kommunaler Hand bleiben, damit wir in Mitverantwortung für das Gemeinwohl bleiben.


Wie soll denn die Querfinanzierung zugunsten des Nahverkehrs weitergeführt werden, wenn die Hälfte der Stadtwerkegewinne dann an den Privaten abgeführt werden muss?

Die Fifty-Fifty-Rechnung greift zu kurz. Wir haben einen Querverbund. Das heißt, die Gewinne aus Energie und Wasser dienen neben denen aus anderen Beteiligungen und einem steuerlichen Vorteil zur Querfinanzierung des öffentlichen Nahverkehrs. Wir werden auch nach einem Anteilsverkauf weiter den steuerlichen Vorteil haben, die Gewinne aus Wasserwerken und anderen Beteiligungen sowie 50 Prozent der Stadtwerkegewinne. Durch die Entschuldung, die mit dem Anteilsverkauf möglich wird, haben wir eine Zinsersparnis. Sie werden verstehen, dass ich heute nicht über die Höhe sprechen kann. Das hängt vom Verkaufserlös ab. Ich werde den Teilverkauf dem Stadtrat nur dann vorschlagen, wenn weiter die Querfinanzierung wirtschaftlich darstellbar ist. Wenn wir nicht mittelfristig nachweisen können, dass es eine schwarze Null wird, dann sollten wir die Finger davon lassen.


Ist der Anteilsverkauf der Stadtwerke der Einstieg in Teilprivatisierungen weiterer Bereiche?

Mit mir gibt es keine Privatisierung der Wohnungs- und Baugesellschaft, kein Krankenhaus wird bei mir veräußert und es wird auch Wasser nicht verkauft. Das habe ich immer gesagt. Neu ist nur, dass wir in einem zweiten Schritt auf der Konzernebene eine Beteiligung prüfen. Macht es Sinn, ist es vorteilhaft, auf der oberen Ebene, der Muttergesellschaft von Wasser, Energie und Verkehr, einen Partner zu suchen? Geht das überhaupt steuerrechtlich, ist das finanzpolitisch möglich? Das ist gutachterlich jetzt beauftragt. Es ist aber ein wesentlicher Unterschied, ob ich auf Konzernebene einen Partner im Boot habe oder im operativen Geschäft etwa bei den Wasserwerken und es dann von der Bereitschaft des Privaten abhängt, ob eine Wasserleitung saniert wird oder nicht.


Wolfgang Burkhardt:
Unter Ihren Vorgängern hat keine Förderung des kleinen Mittelstandes stattgefunden. Jetzt wollen Sie die Stadtwerke verkaufen, weil die Stadt pleite ist.

Wir dürfen nicht so tun, als sei nichts passiert. In den vergangenen 16 Jahren sind Werte geschaffen worden. Wir haben doch investiert, weil es nötig war. Wir haben eine halbe Milliarde Euro in Schulen gesteckt. Jetzt sind 50 Prozent saniert. Es gab doch keine Alternative. Der Anteilsverkauf soll uns wieder handlungsfähig machen. Er ist ein Mittelstandsprogramm. Die Sanierung von Schulen, Kindergärten und Straßen bringt Aufträge für Mittelständler wie Sie. Wenn jeder Mittelständler nur einen Arbeitsplatz schafft, dann haben wir schlagartig 25 000 neue Arbeitsplätze. Wenn uns nicht ein Mehr an Arbeit gelingt, wird Leipzig – lassen Sie es mich salopp sagen – den Hintern nicht hochkriegen.


Erhard Stehlke:
Woher nehmen Sie das Recht, gegen den Willen der großen Mehrheit der Leipziger Bürger, kommunales Eigentum dem direkten Eingriff von Kapitalinteressen auszuliefern?

Ich bin im Einklang mit der Mehrheit des Stadtrates, der die Leipziger Bürgerschaft repräsentiert. Es war zwar eine knappe, aber eine Mehrheit. Wir dürfen die Sache nicht ideologisch, sondern müssen sie sachlich betrachten. Wenn wir nicht handeln, werden wir nicht mehr gestalten können. Ich verstehe nicht, wieso es ein Tabu für bestimmte Bürgerinnen und Bürger ist, ein kommunales Unternehmen zum Wohle der Allgemeinheit neu aufzustellen und für Wachstum der Stadt zu nutzen.


Der Münchner Oberbürgermeister, auch ein Sozialdemokrat, lehnt das ab, weil er um die Gefahren weiß, eine durchökonomisierte Stadt wird kalt.

Die Situation in München ist eine radikal andere als in Leipzig. Wenn ich in der komfortablen Situation wäre, wirtschaftlich wie München dazustehen, hätte ich den Vorschlag zurzeit vielleicht nicht dem Stadtrat unterbreitet.


Tilo Köhler-Kronenberg:
Nach dem Verkauf bleibt nicht mehr so viel Geld für die Stadt übrig. Wie wird dieses Defizit ausgeglichen?

Ich werde den Vorschlag im Stadtrat nur machen, wenn es sich rechnet. Ich kann aber jetzt nicht mit Zahlen operieren, weil das Bieterverfahren noch läuft. Dass wir den öffentlichen Nahverkehr weiter finanzieren können, ist eine Bedingung dieses Verkaufs. Die Stadtwerke haben in diesem Jahr schon eine Gewinnwarnung herausgegeben. Wir werden dieses Jahr weniger Einnahmen haben als im letzten. Die Risiken sind dadurch beschrieben. Es ist nicht mehr einfach zu erwarten, dass sich Gewinn steigerungen endlos fortschreiben. Wenn wir in dieser Stadt weiter etwas bewegen wollen, dann sind wir dringend angehalten zu entschulden, Zinsen zu sparen, um neu investieren zu können, in das, was unsere Kinder und Jugendlichen brauchen. Und kein Gegner der Privatisierung hat mir bislang erklärt, was er als Alternative auf dem Tisch hat.
Notiert von Klaus Staeubert


1998 verkaufte Leipzig schon einmal Anteile an den Stadtwerken. Fünf Jahre später erwarb die Stadt den 40-Prozent-Anteil zurück. Jetzt steht wieder eine Privatisierung des kommunalen Energieversorgers an. Warum und welche Folgen eine Teilveräußerung hat – das konnten LVZ-Leser jetzt aus erster Hand erfahren. Anderthalb Stunden löcherten sie Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) am Lesertelefon mit ihren Fragen.